Kellner wischen Tische ab und spannen Sonnenschirme auf. Vor der Piwna 47 gleich neben der Marienkirche ebenso wie vor dem Café Drukarnia in der Frauengasse und unzähligen anderen Lokalen in Danzigs Altstadt.
Während die Sonne erst noch über hohe Häusergiebel klettern muss, hat der Alltag in den Gassen schon begonnen. Straßenhändler bauen ihre Stände auf. Kaffeebecherträger eilen ins Büro. Teure Schuhe klackern über Kopfsteinpflaster. Aus der Bäckerei Pollowski strömt der Duft von frischen Brötchen.
Früh am Tag, bevor der Weltstar Danzig auf die Touristenbühne tritt, begegnet man ihm fast privat. Die verschnörkelten Fassaden, Türme, Brunnen und Portale sind dann viel weniger Museum als ein echter Lebensraum. „Wer beizeiten aufsteht, hat diese Schönheit fast für sich allein“, verrät Andreas Kaspersky.
Gern zeigt der Bohemien und Szenekenner Gästen seine Stadt. Und richtig: Selbst auf dem „Königsweg“, der Glamour-Bummelmeile zwischen dem Hohen und dem Grünen Tor, lassen sich Patrizierhäuser und Paläste jetzt am Morgen in aller Seelenruhe inspizieren. Da in diesem Jahr die vielen Überseetouristen fehlen, hält sich der Besucherandrang ohnehin in Grenzen.
Früh am Tag, bevor der Weltstar Danzig auf die Touristenbühne tritt, begegnet man ihm fast privat.
Auf den Hund gekommen
Dennoch schätzen die Genießer vor allem weniger bekannte Routen. Für gemütliche wie spannende Entdeckungstouren gibt es genug Alternativen – wie etwa das „Günter-Grass-Viertel“ Langfuhr. Rund um das Geburtshaus des Schriftstellers (1927–2015), der seiner Heimatstadt mit dem Roman „Die Blechtrommel“ ein Denkmal setzte, entstand ein toller Kiez mit Trendgastronomie, Kultur und Kunst.
Nur ein paar Schritte weiter von Langgasse und Langem Markt liegt die Hundegasse. Ihre Bezeichnung stamme vermutlich von den vierbeinigen Speicherinsel-Wächtern, die einst hier lebten, erzählt Andreas.
An die braven Tiere erinnere mit deren lateinischem Namen ebenso das 2017 eröffnete Restaurant „Canis“ in der Nr. 27. Ihm wie den anderen neuen Läden, Galerien und Lokalen verdanke die alte Mietshausstraße angenehm frischen, kreativen Wind.
„Heute geht man hier zu Vernissagen, nascht vegane Snacks und handelt mit Vinyl-Tonträgern“, sagt der Stadtführer. Fremde seien früher allenfalls gekommen, um zu sehen, wo der Physiker und Erfinder Daniel Fahrenheit (1686–1736) seine ersten Lebensjahre verbrachte.
Gut genug für Könige
Der Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit gehört seit jeher zu den Tugenden der Hafenmetropole. Durch den Ostseehandel schon früh zu Reichtum gelangt, genoss die Freie Hansestadt und zweimalige Republik über Jahrhunderte viele Privilegien ihrer Schutzmächte, wie etwa der polnischen Monarchen, die oft und gern hier weilten und sich feiern ließen.
Von den goldenen Zeiten Danzigs künden auch die opulenten Hansehäuser in der Frauengasse. Die enge, heute unbefahrene Straße ist voller Läden und Lokale. Was hier verkauft wird, besteht zumeist aus Bernstein. Das „Gold der Ostsee“, fossiles Baumharz, das Jahrmillionen überdauerte und heute größtenteils aus Tagebauen stammt, wird in der Region seit über 7.000 Jahren zu Schmuck und Kunsthandwerk verarbeitet, heute leider auch zu Kitsch.
Das berühmteste Produkt war das sagenumwobene Bernsteinzimmer für den russischen Zaren Peter I, das zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Danziger Werkstätten entstand. Die jüngste Sensation aus dem maritimen „Edelstein“ ist der komplett daraus gefertigte, tonnenschwere Altar in der Brigittenkirche.
Bemerkenswerte Stücke zeigt auch das Bernsteinmuseum, neben einer im Harz eingeschlossenen Minieidechse, Insekten oder Pflanzenteilen auch einen vier Kilo schweren braunen Brocken aus der Ukraine sowie Werke zeitgenössischer Designer.
Die derzeit noch im Stockturm befindliche Ausstellung soll in modernisierter Form ab 2021 in der Großen Mühle zu sehen sein. Der rekonstruierte Backsteinbau auf der Radaune-Insel barg im 14. Jahrhundert Europas größten Produktionsbetrieb für Mehl und Malz – inklusive Lager und Bäckerei, von 18 Wasserrädern angetrieben.
Neue Töne in der Werft
Widerstand nach außen hat die stolze Bürgerstadt im Laufe der Epochen oft geleistet. Doch nie hatte solch ein Kampf mehr Auswirkungen auf die Weltgeschichte als der der Danziger Werftarbeiter und ihrer Gewerkschaft Solidarność zu Beginn der 1980er-Jahre.
Ihre mutigen Streiks und Demonstrationen, mit denen sie sich gegen herrschende Zustände und schließlich das kommunistische System auflehnten, forderten viele Opfer. Doch sie entfachten einen politischen Flächenbrand. Der ganze Ostblock wurde davon erfasst. Am Ende standen freie Wahlen. Der Kommunismus in Europa war Vergangenheit.
Zum Gedenken an die historischen Ereignisse, ihre Helden und Orte, vor allem aber, um alles detailliert zu dokumentieren, wurde 2014 auf dem ehemaligen Werftgelände das Europäische Zentrum der Solidarność (ECS) eröffnet. Im Mittelpunkt steht die multimediale Dauerausstellung „Wege zur Freiheit“. Großflächig, kreativ und farbenfroh wird das Thema auch in rund 60 zeitgenössischen Wandmalereien an Hausfassaden im Danziger Wohnviertel Saspe (Zaspa) umgesetzt.
Gearbeitet wird auf dem Territorium der alten Leninwerft, die einst viele Tausende beschäftigte, immer noch. Neben Schiffen baut der heutige Privatbetrieb auch Teile für Windkraftanlagen. In anderen Teilen des ehemaligen Werksgeländes sorgen heute Konzerthallen, Dance Clubs und nicht zuletzt die Werkzeuge vieler Metallbildhauer für ganz neue Töne auf der Werft.
Ganz in der Nähe, auf einer Landspitze zwischen Radaunekanal und Mottlau, befindet sich seit 2017 ein weiterer Besuchermagnet: das Museum des Zweiten Weltkriegs. Dominiert wird das auffällige, vom Architekturbüro Kwadrat in Gdingen entworfene Bauwerk von einem schräg aus dem Boden ragenden, etwa 40 Meter hohen Quader aus Glas und roten Steinen.
Theater unter Sternen
Spektakuläre moderne Architektur schafft in Danzig auch den Raum für Musik und Bühnenkunst. Im Fall der Baltischen Philharmonie, die 1997–2002 rund um ein neogotisches Elektrizitätswerk auf der Bleihofinsel entstand, bezieht sie historische Fassaden in zeitgenössische Bauwerke ein.
Im Shakespeare-Theater folgt sie dem elisabethanischen Vorbild mit nüchtern-praktischen Lösungen von klarer Schönheit. Da im Gegensatz zu klassischen italienischen Spielhäusern das englische Public Playhouse das Publikum mit einbezieht, ist der Zuschauerraum quasi Teil der Bühne. Für die enge Verbindung zu den Schauspielern sorgen die offenen Galerien, die sich an drei Seiten der Bühne in drei Etagen über ihr erheben.
Entworfen von dem Venezianer Renato Rizzi, wurde der moderne Bau (2014) dort errichtet, wo von 1611 bis ins frühe 19. Jahrhundert das erste Shakespeare-Theater außerhalb Großbritanniens stand. Es wurde als Fechtschule und für die Aufführung englischer Renaissance-Stücke genutzt. Der Clou des heutigen Hauses ist sein aufklappbares Dach, das sich je nach gespieltem Stück und Wetterlage innerhalb von drei Minuten öffnen oder schließen kann.
Anreise
Per Flug erreicht man Danzig von München aus in 1,5 h, von Berlin aus mit dem Zug in knapp sechs Stunden.
Übernachten
5★ Hotel Podewils: In einem prächtigen Patrizierhaus von 1728 befindet sich das 5-Sterne-Hotel Podewils. Dem herrschaftlichen Stil des Hauses ist die Einrichtung der Zimmer und Suiten angepasst.
Hotel Gdansk Boutique: Luxus und Komfort im 4- und 5-Sterne-Bereich bietet das Hotel Gdansk Boutique in einem Backsteingebäude aus dem 17. Jahrhundert, ergänzt durch einen stylischen Neubau, auf der Speicherinsel neben dem Jachthafen in der Danziger Altstadt. Ebenfalls dort befinden sich zwei topmoderne 4-Sterne-Hotels: das Qubus und das Puro.
4★ Craft Beer Central Hotel: In einem prachtvollen Gebäude der ehemaligen preußischen Eisenbahnverwaltung (später Hafen- und Wasserstraßenamt, dann Eisenbahnklinik) von 1900 residieren Gäste des eleganten Craft Beer Central Hotels (4 Sterne) mit eigener Brauerei unter deutschem Management und Restaurant. Die größten der komfortablen Apartments sind 61 qm groß und verfügen über zwei Schlafzimmer und zwei Bäder.
Essen&Trinken:
Polnische Küche, zeitgenössisch interpretiert, genießt man im Szafarnia 10 Restaurant & Bar sowie in der Piwna47 Food & Wine Bar. Internationale Gerichte und ausgewählte Weine bekommt man in der Hundegasse im Canis Music & Wine. Das leckerste vegane und vegetarische Streetfood hat Surfburger. Köstliche Teigtaschen von traditionell polnisch bis fernöstlich isst man im Pierogarnia Mandu Gdańsk Główny. Direkt im Solidarność-Zentrum befindet sich das Restaurant Amber Side. Ein Sushi-Restaurant mit japanischem Zertifikat ist das New Kansai. Kultstatus nicht nur bei Danziger Intellektuellen und Szenegängern genießen das „Café Ferber“ (ul. Długa 77/78)) sowie das Künstlercafé Drukarni.
Auskünfte
www.visitgdansk.com, www.polen.travel/de
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