Schüchtern schiebt sich die Morgensonne über die Stadt und taucht Münchens italienisch angehauchte Ludwigstraße in ein unwirkliches mediterranes Licht. Mit einem leisen Reng-deng-deng signalisiert meine neue Liebe, dass sie bereit ist für unsere erste gemeinsame Tour. Wobei ich mir gerade gar nicht mehr sicher bin, ob das so eine gute Idee ist, mit einer 57 Jahre alten, von der Messerschmitt GmbH in Augsburg in Lizenz gefertigten Vespa 150 T4 über die Alpen nach Pontedera, dem Hauptsitz von Piaggio, zu kurven. Publikum und Fachwelt waren sich damals zwar einig darüber, dass Vespa mit der T4 einen großartigen Roller geschaffen hatte. Schöner Leerlauf, konkurrenzlos leises Auspuffgeräusch auch bei höheren Drehzahlen, ein überarbeiteter Motor, der fein am Gasgriff hängt und sauber aus niedrigsten Drehzahlen hoch zieht – die T4 war die mobile Frühjahrssensation des Jahres 1959. Doch mute ich meiner Wespe im unverbauten Originalzustand mit dem Trip nicht zu viel zu?
Mit der Vespa von München nach Pontedera in der nördlichen Toskana.
»So schnell wie damals ist die Signora nicht mehr«
Eines ist nach den ersten Kilometern auf den Landstraßen entlang des Starnberger Sees zumindest schon mal geklärt zwischen uns beiden: die damalige Höchstgeschwindigkeit von mehr als respektablen 75 km/h schafft die Signora nicht mehr. Die Tachonadel klettert nur bis auf 65. Schneller muss es aber, ehrlich gesagt, auch nicht sein. Denn auch bei dieser Geschwindigkeit schwingt im lauten Schwirren und Surren ihres Zweitakt-Motors die ganze Italianità mit. Selbst mit Helm auf dem Kopf umweht mich bereits hier, im tiefsten Oberbayern, eine Schwade Dolce Vita. Über Seeshaupt, Iffeldorf und Aidling steche ich ins zauberhafte Blaue Land rund um Murnau, wo Kandinsky, Münter, Jawlensky und Marc Kunstgeschichte schrieben und der Dramatiker Ödön von Horváth Weltliteratur verfasste.
Rauf auf die Berge!
Es herrscht Föhn. Der Gipfel der Zugspitze ist zum Greifen nahe. Kornblumenblau lädt der Riegsee am Rande des Murnauer Mooses zu einem kurzen Badestopp. Jetzt, um kurz nach 7 Uhr, habe ich ihn noch ganz für mich allein. Das Kraulen im glasklaren Wasser entspannt mächtig und auch das kleine Männchen im Ohr, das mir seit einer Stunde die Alpenüberquerung ausreden möchte, schweigt plötzlich. Also gut, Signora, denke ich, dann ist die Entscheidung gefallen: Wir fahren nach Murnau, ich gönne mir zur Brotzeit noch zwei der legendären warmen Leberkässemmeln der Metzgerei Haller. Und dann fahren wir rauf auf die Berge.
Denkste. Ich trete den Anlasser mit dem rechten Fuß ein, zwei Mal, gebe der T4 ein wenig Luft, trete nochmal und versuche ihre Lebensgeister mit etwas Handgas am rechten Griff zu erwecken. Keine Regung. Sie will nicht anspringen. Zeigt sie jetzt plötzlich Respekt vor Fern- und Reschenpass, den Hürden des heutigen Tages? Ich begegne Ihrer Laune mit zunehmender Expertise, lege den zweiten Gang ein, bringe sie ins Rollen, lasse die Kupplung langsam kommen. Das funktioniert. Sie spuckt zwar ein paar dicke blaue Rauchwolken. Aber sie läuft wieder. Ich drehe die linke Hand nach oben, rücke den ersten Gang ein und synchronisiere den Kupplungsschluss mit dem Handgas der Rechten. Wir setzen uns in Bewegung und ich hebe lässig den linken Fuß vom Boden auf das Trittblech. Filmreif, würde ich sagen. Wie bei Fellini. Danke, Signora. Mit dir ist Italien überall. Zweiter, Dritter – raus aus dem Blauen Land, rein in die Alpen.
Dauergrinsen auf der Fahrt nach Meran
Von Garmisch-Partenkirchen aus schwinge ich mich nach Ehrwald hinauf und genieße die Fahrt über den Fernpass. Der eher sanfte Anstieg hilft beim Einstimmen in den Rhythmus der folgenden Tage. Im Gurgltal duftet es nach Heu und der Reschenpass präsentiert sich harmloser als befürchtet. Irgendwie sitze ich trotz fetter Blase am linken Daumen nun auch viel lässiger auf der T4 und schäme mich auch nicht mehr für das Dauergrinsen, das mich bei der Abfahrt hinunter ins 80 Kilometer entfernte Meran überkommt.
Ein letzter kurzer Anstieg hinauf ins Villenviertel des schmucken Kurortes und das Tagesziel ist erreicht: das Meisters Hotel Irma, eine Institution in der Südtiroler Hotellerie. Seit 1924 steht der Familienbetrieb für herzlichste Gastfreundschaft und einen perfekten Service. Julia Meister, die Junior-Chefin, kann sich ein erstauntes Lachen nicht verkneifen, als sie die Signora und meine Wenigkeit in der Hoteleinfahrt entdeckt. Ja, bestätige ich ihr, wir sind heute früh in München gestartet. Nein, sagt sie, immer noch ungläubig, und lässt nach ihrer Mutter rufen. Sind das etwa Tränen in deren Augen? „1964 habe ich eine Vespa 50 zum Geburtstag geschenkt bekommen“, verrät die Senior-Chefin und quartiert mich vom reservierten Einzelzimmer spontan ins sogenannte Baumhaus im weitläufigen Park um. Jetzt steigen mir die Tränen in die Augen.
Vespa: Bestandteil der italienischen DNA
Dass es auch sonst ungemein hilft, wenn man in Italien eine alte Vespa fährt, liegt an ihrem Seltenheitswert. Für das Aussterben der Schönheiten sorgte ausgerechnet die italienische Regierung, die jahrelang eine rigorose Rotamazione-Politik betrieb: Sie bezahlte Besitzern alter Vespen eine Verschrottungs-Prämie von 1000 Euro. Und das alles nur, um EU-Emissionsrichtwerte zu erfüllen. Nichtsdestotrotz sind die einfachen eleganten Linien der Kult-Roller Bestandteil der DNA der Italiener.
On the road again. Kurzer Stopp in Lana, fünf Kilometer südlich von Meran. Vor einer Caféteria glänzt eine rare dunkelblaue 1972er 200 Rally mit 12,3 PS und einer Topgeschwindigkeit von 115 km/h in der Morgensonne. Marcello, der stolze Besitzer, der sein Prachtstück auch für eine Prämie von 100 000 Euro nicht verschrotten lassen würde, lädt mich auf einen Espresso ein. Mit seinen 76 Jahren fährt der ehemalige Carabinieri aus Verona noch immer regelmäßig die legendären Passstraßen Südtirols ab. Falls er nicht ins Erzählen kommt. „Es gab viele Sonntage, an denen wir mit unseren Maschinen ins nächste Dorf fuhren und uns entscheiden mussten: Pizza oder Benzin“, sagt Marcello und lacht. „Gab’s Pizza, mussten wir die Vespa auf dem Heimweg eben schieben.“ Und aus einem Espresso werden vier Espressi.
Traumabfahrt ins Eschtal
Der Gampenpass verbindet das Südtiroler Etschtal mit dem Nonstal im Trentino. Bilde ich mir das nur ein oder hält sich die T4 heute wirklich besser am Berg und überdreht viel fröhlicher? Durch einige kurze Tunnels geht’s auf breiter, gleichmäßig ansteigender Straße relativ geradlinig hinauf. Der Blick auf Meran und die Texelgruppe ist grandios, dann verschluckt mich dichter Wald. Vom Pass führt die Straße hinunter nach Fondo mit der Abzweigung zu den 17 Kehren des Mendelpasses. Eine Traumabfahrt! Zwei, drei Mal auf den 1000 Höhenmetern, die es zu bewältigen gilt, gibt die Straße die Aussicht auf das Etschtal frei. Silbrig glänzt der Kalterer See, die Weinberge von Kaltern, Tramin und Kurtatsch präsentieren sich in einem fast surrealen Caspar-David-Friedrich-Grün.
Rein zufällig liegt in Kaltern eines meiner Lieblingsweingüter: Manincor, dessen historische Gebäude bis ins Jahr 1608 zurück datieren. Heute ist es mit 50 Hektar Ertrag das größte Weingut Südtirols, das nur eigene Trauben verarbeitet, und besitzt mit seinem neu erbauten Weinkeller ein architektonisches Meisterstück. Das Architektenteam, bestehend aus dem Kalterer Walter Angonese und dem Innsbrucker Rainer Köberl, platzierte den Keller in Gänze in Tieflage unterhalb des Weinberges, angrenzend an den historischen Ansitz. Mehr als 3000 Quadratmeter Fläche auf drei unterirdischen Geschossen bieten Platz für große Holzfässer, Barriquefässer, Gärbehälter, Edelstahltanks, Pressen, die Abfüllanlage und nicht zuletzt für die Flaschenlagerung der ausschließlich biodynamisch produzierten Weine. Schade, dass ich aus Platzgründen nur eine Flasche Réserve del Conte mitnehmen kann, einen rubinroten Gutswein voll Kraft und Wärme, der im Anklang so herrlich fruchtig nach kleinen Beeren, später würzig nach Lakritze, weißem und schwarzem Pfeffer schmeckt. Im Schatten der mächtigen Brenta-Gruppe cruise ich auf der Landstraße mit der Nummer 421 weiter Richtung Gardasee.
Früher, in der Stadt, hatte er meist nur die Prototypen für seine Objekte entwickelt, heute legt er zusammen mit seiner Partnerin Ingrid Seebacher selbst gern Hand an. Das Holz für seine Gefäße, die im offenen Feuer schwarz gefärbt werden, stammen von Bäumen, die Prenner zuvor fotografiert. Das Bild mit der markierten Stelle, von der das Holz stammt, verkauft er mit dem entsprechenden Gefäß – einer der wunderbaren Einfälle des Künstlers.
Hochsommer in Bella Italia – und die alte Vespa ist in Hochform
Brotzeit mache ich an einem schmalen Sandstrand in Torbole. Die Ora bläst wie verrückt, der See ist gespickt mit Surfern. Dazwischen Ausflugsdampfer und knallbunte Plastiktretboote. 35 Grad im Schatten. Das Wasser strotzt mit tiefem Blau und frischem Glanz. Hochsommer in Bella Italia. Und meine Signora ist in Hochform.
Gern gönne ich ihr – und mir – auf dem Weg in den Mutterschoß nach Pontedera noch Ausflüge nach Genua, Portofino und die Cinque Terre. Und dann sind wir da. Ohne weitere Zicken hat sich die Wespe entlang der Riviera von unseren alpinen Strapazen erholt. Und begrüßt schließlich das legendäre Werk von Piaggio mit einem entspannten Reng-deng-deng.
Erschwinglich, alltagstauglich, einfach zu fahren – so ein Transportmittel wollte Enrico Piaggio, dessen Firma eigentlich Flugzeuge produzierte, 1946 auf den Markt bringen. Das Design des Prototyps, den ihm der Flugzeugingenieur Corradino D‘Ascanio präsentierte, kommentierte Piaggio mit den Worten: „Sembra una Vespa“ (Die sieht wie eine Wespe aus). Doch schon im ersten Jahr verkaufte sich das Zweirad mit 98 Kubikzentimeter Hubraum, drei PS und 60 km/h Spitze 2500 mal. Inzwischen liegt die Zahl bei 17 Millionen. Der Einstiegspreis liegt heute bei etwa 3500 Euro. Alte Kultmodelle sind ab 3000 Euro zu haben. Mehr Informationen: www.vespa.com